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An der 3. Düne links ab.


Ich war vor ein paar Jahren mit einem kleinen Team zum Dreh in der Wüste Sahara, wo wir eine Weile Nomaden begleiteten und unser Fortbewegungsmittel das Dromedar war. Das Reiten auf einem Dromedar ist sehr angenehm. Man fühlt sich wie in einer langsam bewegenden Kinderwiege, die nicht nur nach rechts und links schaukelt sondern auch nach vorne und hinten und das Ganze immer schön im Viereck. Das ist so beruhigend und entspannend, dass man fast einschlafen könnte.


Es geht los! Letzte Minuten in der Zivilisation. Man freundet sich an. 

Trotzdem, dass wir weit und breit ein endloses Meer an Dünen vor uns hatten und keinerlei Anhaltspunkte, schienen die Nomaden genau zu wissen wo wir waren.
Stundenlang marschierte man gefühlt in eine Richtung und plötzlich nach 3 Stunden machte die Karawane eine plötzliche Rechtskurve. Nach weiteren 20 Minuten war man an der Wasserstelle. Mir war unerklärlich wie sich die Nomaden orientierten, wo sie doch nichts anderes hatten als den Sonnenstand und wandernde Dünen.




Die Nomaden waren so nett, uns für die Nächte ihr Zelt zu überlassen, damit wir unser Equipment ein wenig vor Sand schützen konnten. Grosses Gelächter als das ehrwürdige Zelt stand. Es handelte sich um eine grosse Decke, die auf mehrere im Sand gesteckten Äste gelegt wurde und fertig war das Zelt.  Ausser einem psychologischen Nutzen erfüllte das Zelt keinen.




Ich hatte einen dünnen Baumwollschlafsack mit Kapuze bei mir, der den direkten Kontakt mit den Decken vermied, die auf mir lagen und zuvor noch auf meinem Kamel als Sattel dienten. Ich schlief auf einer dünnen Matratze, die ebenfalls zuvor mein Sattel war - direkt auf dem Sand.
Die erste Nacht war mir etwas mulmig zumute und zog die Kapuze des Baumwollschlafsacks so weit zu, dass nur noch meine Augen und meine Nase unbedeckt waren.
Ich hatte tagsüber bereits soviele Tiere der Wüste kennengelernt: Kleine Wüstenfische, Skorpione, Schlangen, Spinnen, Käfer. Die Vorstellung dass eins dieser Tiere sich in meinem Ohr oder meinem Mund wiederfinden könnte, war einigermassen unbehaglich. So richtig wohl fühlte ich mich in der ersten Nacht nicht gerade.
Das Leben der Nomaden beginnt mit dem Sonnenaufgang und endet mit dem Erlöschen des Feuers am frühen Abend gegen 20/21 Uhr. Die Uhrzeit spielt keine Rolle. Das Leben richtet sich nach Natur, Wetter und Tätigkeiten, die anstehen.

Abends sammelte man gemeinsam kleine Äste von Büschen, um am nächsten Morgen das Wüstenbrot backen zu können.  Dafür mischen die Nomaden Wasser und Mehl zusammen und kneten daraus einen grossen Fladen. Dieser wird auf die Glut gelegt und Sand darüber geschüttet. Der Fladen wird regelrecht vergraben. Nach etwa 15 Minuten wird der Fladen wieder ausgegraben und abgeklopft. An eines muss man sich in der Wüste gewöhnen: Alles, das man kaut oder trinkt, knirscht zwischen den Zähnen. Die gute Nachricht: An den Sand im Mund gewöhnt man sich.

Die zweite Nacht war bereits viel entspannter, als würde ich langsam Teil der Wüste werden, gegen die man sich nicht mehr abgrenzen muss. Als alle schliefen rutschte ich ans Matratzenende und setze mich auf. Da sass ich nun im Freien mitten in einer Sandwüste. Würde ich das Lager nun verlassen und wenige Minuten in eine Richtung gehen, würde ich riskieren, dass ich nicht mehr zurück finde. Eine Frau in unserer Truppe musste nachts aufs Klo und wollte nicht zu sehr in der Nähe sein und marschierte nur hinter eine kleine Düne. Sie verlor die Orientierung und rief 90 Minuten lang nach allen Richtungen weinend um Hilfe, bis jemand aufwachte, sie hörte und man sie zu Fünft wiedergefunden hatte. Man hörte sie nur ab und zu, wenn sie in unsere Richtung rief.  Und sie hatte Glück, dass der Wind in unsere Richtung blies. Sie schluchzte immer noch ganz bitterlich und war aufgewühlt, denn sie sah sich bereits verloren. Das war nicht nur für sie eine Lernerfahrung der Wüste, sondern für uns alle Nicht-Nomaden.

Was mich am meisten beeindruckt hat, ist die unfassbar laute Stille in der Wüste. Man hört nichts: Kein Geraschel der Bäume im Wind, da es ja keine Bäume gibt, keinen Vogel, keine Autos. Nichts Hörbares. Diese Stille ist so aufdringlich und ungewohnt für die Ohren, dass sie dem Körper ein ganz anderes Empfinden gibt. Plötzlich konnte ich die Liedzeilen „The Sound of Silence“ ("Der Ton der Stille") anders verstehen. Ich war von der Stille so beeindruckt, dass mir die Tränen vor Rührung aufstiegen (zugegeben: Ich bin nahe am Wasser gebaut, wenn mich etwas berührt).


Als ich wieder zurück in Deutschland war, empfand ich meine ausgesprochen ruhige Wohnung als extrem laut: Ich nahm jedes Geräusch viel lauter als vorher wahr: Meine tickende Uhr, das leise Summen des Kühlschranks und viele andere kleine Geräusche, die ich nie bewusst wahrgenommen hatte.

Die Nomaden schenkten mir zum Abschied zwei prähistorische Pfeilspitzen, die die Wüste für sie freigegeben hatten. Nun bin ich im Besitz von einem Werkzeug, das Menschen vor 10.000 Jahren schnitzten. Vor 300 Generationen, also zu der Zeit als meine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur Grossmutter noch lebte.

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