EINE SCIENCE FICTION KURZGESCHICHTE
ÜBER DIE EIGENE IDENTITÄT.
I
Wenn man die LUNA-Bar betrat, traf man zuerst auf seine
fünffache Ausfertigung, da der Gang, der in die eigentliche Bar führte,
verspiegelt war und die Wände dieses Ganges nicht eben waren, sondern Ecken und
Kanten aufwiesen, in welchen man sich beim Durchqueren mindestens viermal zur
selben Zeit spiegelte. Die meisten Besucher, die dort verkehrten, schauten
verstohlen weg und wichen ihrem Spiegelbild aus, um zum einen nicht den
Eindruck zu machen, man sei ein Abkömmling des in sich selbst verliebten Narziß
und zum anderen, um sich nicht den Abend zu verderben, bevor dieser angefangen
hatte, weil das Spiegelbild auf schmerzlichste Art und Weise die eigenen Makel
vor Augen hielt. Allerdings war es recht schwierig, seinem ehrlichen
Doppelgänger auszuweichen. Es gelang nur, wenn man stur nach vorne schaute,
ohne den Kopf nur ein wenig nach links oder nach rechts zu drehen. Das wiederum
bewirkte, daß man aussah, als hätte man einen Stock verschluckt oder sich
zumindest so fühlte.
Hatte
man die Aufgabe des Durchquerens des Ganges gemeistert, fand man sich in einer
exquisiten Lokalität wieder, deren Getränkepreise den Luxus bestätigte. An der
linken Wandseite erstreckte sich eine lange Bar, hinter welcher gutaussehende
Barkeeper, denen es offensichtlich nichts ausmachte durch die Eingangshalle zu
gehen, auserlesene Drinks kreierten. Die Bar selbst war aus dunklem Kirschholz,
die Barhocker waren mit dazu passenden Lederbezügen versehen. Es gab zusätzlich
Sitzgelegenheiten, die an der rechten Wandseite des Raumes verteilt waren. Wenn
man geradeaus blickte, sah man eine kleine Bühne, die nur daran zu erkennen
war, daß eine einzige Stufe auf ein Plateau führte, auf welchem den Gästen
ausgewählte Musik geboten wurde. Die Musiker, die auf diesem Plateau spielten,
fanden meist wenig Beachtung. Man behandelte sie als Hintergrundmusik zu
wichtigen Gesprächen und netten Plaudereien. Trotzdem erwarteten die
Kostgänger, daß die Musiker ausgezeichnete Tonkünste vollbrachten.
Die
Bar wies gedämpftes Licht auf. Es rührte zum einen von irgendwelchen
Lichtmaschinen her, die in irgendwelchen Ecken versteckt waren und wie aus dem
Nichts farbige, sich bewegende Muster an die Wand projizierten. Zum anderen
standen Kerzen auf der Bar und an den Tischen und zusätzlich wurde jede Flasche
an dem verspiegelten Regal hinter der Bar mit unterschiedlich farbigen Lämpchen
durchleuchtet.
In
die LUNA-Bar ging nur, wer Geld und Prestige hatte oder dieses zu mimen suchte.
In
dieser Bar spielte Bruce regelmäßig Saxophon. Regelmäßig jeden Abend. Mal mit
Klavierbegleitung. Mal mit einer Sängerin. Mal mit beiden. Mal ohne beide. Er
spielte sehr gut. Das heißt, er konnte gut spielen, wenn er wollte. In dieser
Bar hatte er jedoch das Gefühl, Perlen vor die Säue zu werfen und meistens
spielte er lustlos dieselben Klänge und ging danach nach Hause oder ließ sich
in einer anderen Bar zulaufen. Er spielte gerade gut genug, um nicht gefeuert
zu werden. Er brauchte das Geld. Das war der einzige Grund warum er vor diesen
Püppchen und Pinguinen spielte.
In seiner freien Zeit setzte er sich gerne an einen
kleinen See und spielte auf seinem Saxophon. Doch Bruce hatte immer wieder den
Eindruck, das Saxophon spiele mit ihm. Dann, wenn kein Mensch in der Nähe war
und dessen versicherte er sich zuvor immer gründlich, konnte er sich mit
Leidenschaft hingeben und steckte sein gesamtes Können in improvisierte
Klangkollagen. Oft bemerkte er nicht, wie die Nacht verstrich und erst wenn die
Vögel in seine Musik mit einstimmten, zwang er sich dazu, abzubrechen um vor
seiner Arbeit in der Bar noch einige Stunden zu schlafen. Sein Saxophon war
seit Jahren alles, an dem sein Herz hing. Alles andere war ihm gleichgültig
geworden. Nur, wenn er sein Saxophon spielte empfand er Gefühle, die er von
früher kannte und die er irgendwann einmal verloren hatte. Wo, wußte er nicht.
Sowohl die Menschen um ihn herum, als auch soziales Ansehen in der Gesellschaft
waren ihm egal. Er war ein ziemlich fertiger Typ, dem man nicht ansah, daß er
einst vor Jahren einer der, wenn nicht sogar DER ausgezeichnetste
Weltraumminenentschärfer war. Er diente jahrelang im Militär und sah, wie
Kollegen von ihm zerfetzt wurden, weil sie die Mine nicht entschärfen konnten.
Bruce fragte sich ab und an, wie viele Körperteile von ehemaligen
Weltraumminenentschärfern wohl noch im Weltall ziellos umherflogen. Man hatte
bis jetzt noch keine Methode gefunden, diese einzusammeln, um die Überreste den
Angehörigen zu überbringen. Noch immer forschten Wissenschaftler daran, einen
überdimensionalen Staubsauger für diese Fälle zu entwerfen. Bei anderen
Kollegen fragte er sich bis heute, wie diese mit dem Leben davon kommen
konnten, da für ihn die Situation aussichtslos ausgesehen hatte. Seine extremen
Erfahrungen hatten ihn zu diesem gleichgültigen Menschen gemacht, denen eine
Streiterei in einer Bar oder der Verlust von Geld nur zu einem müden Lächeln
bewegten. Die Arbeit in der Bar machte ihm keinen Spaß. Er schaute auf die
Gäste herab und verachtete sie. Er hatte noch nie das Gefühl gehabt, daß die
Gäste wegen seiner Musik in die Bar kamen. Bruce wollte viel lieber in einer
kleineren intimeren Kneipe spielen. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß dort
seine Musik und Musik an sich viel mehr geschätzt wurde. Aber wie gesagt, die
Bar brachte Geld. Er konnte sich es nicht leisten, aus purem Idealismus
woanders zu spielen. Nachdem er aus dem Militär ausgeschieden war, weil es
vorerst keine Minen mehr zu entschärfen gab, mußte er sich seine Brötchen auf
diese Art und Weise verdienen und sich mit dem Saxophon durchschlagen.
II
Bruce spielte wieder einmal auf seinem Saxophon. Die Töne hatte er
inzwischen derart verinnerlicht, daß er, während er spielte überlegte, was er
am nächsten Tag einkaufen mußte oder wie es war, als er noch auf einem
Weltraumträger hockte und auf seinen nächsten Einsatz wartete. Wieder einmal
war sein Soll für den Abend erfüllt. Er ließ sich von ein paar wenigen Gästen
zaghaft beklatschen. Im Geiste legte er jedem von ihnen als Dank eine Mine auf
den Kopf. Allein diese Vorstellung zwang ihn zu einem leichten Lächeln den
Gästen gegenüber. Der Barbesitzer hatte ihn schon mehrmals aufgefordert, ein
wenig freundlicher zu sein. Bitteschön, das konnte er haben. Was Bruce sich
dabei dachte, war zum Glück seine Sache. Fast zumindest.
Vor ihm stand ein grosser, auffälliger Mann im Pinguin-Kostüm
auf. Im Umdrehen rempelte er dessen Freund an, der zwischen dem auffälligen
Mann und Bruce mit einem Cocktailglas in der Hand stand. Der Inhalt dieses
Glases wurde direkt in die Öffnung des Saxophons befördert. Es ging fast kein
Tropfen daneben. Bruce ging in Gedanken auf den blöden Pinguin los und
erledigte ihn. „Schon in Ordnung“, hörte er sich sagen, nachdem der Mann mit
dem Cocktailglas unangebrachte Kniefälle vor ihm veranstaltete. Bruce war
genervt, packte alles zusammen und setzte sich bevor er ging noch an die Bar.
Er schüttete in einer immensen Geschwindigkeit ungeheure Mengen irgendeines
alkoholischen Zeugs in seine Kehle, ohne den Geschmack desselben wahrnehmen zu
können. Neben ihm saß eine aufgedonnerte Mittzwanzigerin, die pseudo-intellektuell
auf ihn einredet, um ihm zu gefallen. Aufgrund seiner Erfahrung hätte er mit
wenigen Sätzen alles was sie sagte widerlegen können. Doch was bringt es,
irgendwie ist sie ja niedlich. Sie gefällt mir. An diesem Abend ging die
Mittzwanzigerin mit Bruce nach Hause, der sich fühlte wie 150 Jahre und den es
nervte, dass er seine Lebensfreude verloren hatte.
III
Das Telefon klingelte. Sie lag noch neben ihm. Deswegen
schaltete er die visuelle Kommunikation an seinem Telefon ab. Er mochte es
nicht, wenn andere etwas von seinem Privatleben wußten. Der Anrufer hatte
jedoch auf visuelle Kommunikation geschaltet. Bruce erkannte sein Gegenüber. Es
war sein ehemaliger Vorgesetzter beim Militär. Er wolle ihm nur mitteilen, daß
wieder einige Minen geortet worden waren und er deswegen Bruce einberufen
wolle. Bruce fragte, ob momentan keine Minenentschärfer im Einsatz seien.
„Doch. Es handelt sich aber um eine äußerst prekäre
Operation.“ Bruce wußte, daß der General das Wort „prekär“ nur dann verwendete,
wenn es sich um eine Mine handelte, bei der es unmöglich war, sie zu
entschärfen. Der General trommelte also seine besten Leute auf der ganzen Welt
zusammen. Und dazu gehörte Bruce nun mal. Dieses Gesuch konnte man nicht
ablehnen. Bruce wußte das und fragte kalt: “Wann und wo?“ –„Heute um 28542 am
Stützpunkt Eisenblume.“ Bruce nickte.
Dann fügte er noch ein „in Ordnung“ hinzu, da ihm einfiel, daß er die visuelle
Kommunikation ausgeschaltet hatte. Der General fragte ihn noch, wann Bruce
seine letzte Gehirnübertragung hatte: „Gestern Nachmittag.“ Den General schien
diese Antwort zufrieden zu stellen und legte auf.
Diese Gehirnübertragungen waren offiziell dafür da, um die
Funktionstätigkeit des Gehirns zu überprüfen. Jeder, der einen höheren Rang in
der Gesellschaft inne hatte oder Spezialist für etwas war, mußte von Seiten der
Regierung diese Gehirnübertragung zwei- bis dreimal wöchentlich machen lassen.
In internen Kreisen wußte man, daß dabei keinesfalls die Gehirntätigkeit
überprüft wurde, sondern Daten des Gehirns abgefragt und gespeichert wurden.
Dazu gehörte sowohl jegliches Fach-Wissen der Person, als auch persönliche Erinnerungen.
Auch Bruce wußte das und vermutete, daß sein Wissen nach seinem Ableben
verwendet wurde, um unnötige Fehler bei zukünftigen Minenentschärfungen zu
verhindern. Warum persönliche Erinnerungen abgefragt wurden, konnte er sich
nicht so richtig erklären. Doch seiner Meinung nach lag das daran, daß man
Alltags-Erinnerung und fachspezifisches Wissen bei der Datenübertragung nicht
trennen konnte und man einfach den ganzen Mist, der sich sonst noch im Gehirn
befand, in Kauf nahm. Bruce konnte niemand danach fragen, da es schließlich
offiziell lediglich eine Gesundheitsvorsorge darstellte.
IV
Bevor er die grün-silberne Flüssigkeit in den Schlauch
goß, wußte er, daß er es dieses Mal nicht schaffen würde. Im nächsten
Augenblick spürte er die Stille, die ihn umgab. Er war allein im Weltall. Die
Erde war Tausende Lichtjahre entfernt. Jeder am Stützpunkt konnte sehen, was er
sah. Man hatte ihm vor seinem Abflug winzige Kameras ins Auge gepflanzt.
Im Stützpunkt war die Verbindung zu Bruce unterbrochen.
Jeder wußte, was passiert war: Bruce hatte es nicht geschafft, die Mine zu
entschärfen.
V
Bruce schlug die Augen auf. Er lag in einem Raum. Er war
allein, niemand sonst befand sich in dem Raum. Er war an einige Geräte
angeschlossen, die er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Er fühlte
sich schwach und hungrig. Er schlief noch einige Male ein. Als er dann wieder
aufwachte standen Ärzte um sein Bett und auch einige Männer in Uniform. Einer
darunter war der General. Man gab ihm zu essen und zu trinken. Man gratulierte
ihm, daß er überlebt hatte und überreichte ihm einen Orden. Von Tag zu Tag
fühlte er sich besser. Ihm wurde erst nach und nach bewußt, welches Glück ihm
widerfahren war, daß er noch lebte. Eigentlich müßte er tot sein. Was danach
geschah, wußte er nicht. Die Generäle fragten ihn, an was er sich erinnere. Sie
gingen nicht so sehr auf den Einsatz als vielmehr auf seine Alltagserinnerungen
vor seinem Einsatz ein. Bruce fragte sich kurz, warum man diese Fragen nicht
den Ärzten überließ. Doch zu weiteren geistigen Höchstleistungen war er nicht
imstande. Nach einigen Wochen und unzähligen Tests jeglicher Art wurde er
wieder entlassen.
V
Am Tag seiner Entlassung spielte er abends wieder Saxophon
in der Bar. Der Barbesitzer hatte ihn mit Freuden empfangen, da er von dem
Einsatz gehört hatte. Eigentlich war dieser wie alle Einsätze geheim gewesen,
doch Bruce wunderte sich nicht sehr darüber. Er wußte, daß dem Barbesitzer auf
mysteriösen Wegen Informationen zu Ohren kamen, die er eigentlich nicht wissen
durfte. Dieser behielt zwar die meisten dieser Informationen für sich, doch
wenn er welche zu seinem Vorteil nutzen konnte und sich sicher war, daß sein
Leben damit nicht gefährdet wurde, streute er sein Wissen unter die Leute wie
der Bauer das Futter für seine Hühner. Das tat er auch mit seinem Wissen über
Bruces Einsatz, weil er hoffte, daß dadurch mehr Kundschaft kam.
Bruce kümmerte das wenig. Er spielte wie jeden Abend vor
seinem mißglückten Einsatz und verachtete die Gäste nach wie vor. Und nach wie
vor kam nur ein Funke Lebensfreude auf, während er sein Instrument spielte.
An diesem Abend kam ein grosser, auffälliger Mann auf ihn
zu und entschuldigte sich für den Vorfall, der nun schon Wochen zurückläge.
Bruce wußte nicht, wovon der Mann redete. Dieser versuchte deutlicher zu werden
und sagte, er habe seinen Freund damals aus Versehen angerempelt und diesem sei
dabei doch unglücklicherweise sein Glas aus der Hand gerutscht und der Inhalt
in Bruces Saxophon gelangt. Bruce konnte sich nicht daran erinnern. Er fragte
den Mann, wann das gewesen sein sei. Bruce konnte sich nicht erklären, wie er
diesen markanten auffälligen Mann vergessen hatte können und schon gar nicht,
wie er vergessen konnte, daß irgend ein Trottel etwas in sein geliebtes
Saxophon geschüttet hatte. Er nahm sich vor, sich noch einmal untersuchen zu
lassen, um herauszufinden, ob ihm die Explosion einen Schaden im Gehirn verursacht
hatte. Solche Erinnerungslücken kannte er nicht von sich. Er wollte schon nach
Hause gehen, als eine ihm unbekannte aber hübsche Frau auf ihn zukam und ihn
ansprach. „Ich hatte mich gewundert, warum du Dich nicht gemeldet hast, Bruce.
Ich habe dann aber von Deinem Unfall in den Nachrichten gehört. Meinst du, du
hast bei dieser ganzen Popularität mal wieder Möglichkeit, mit mir ein wenig
Zeit zu verbringen? Immerhin erlebt man das was wir hatten, nicht alle Tage,
nicht wahr?“. Bruce kannte die Frau nicht. Um nicht wieder in eine peinliche
Situation zu gelangen, tat er so, als kenne er sie. Schließlich trank er oft
etwas mit Frauen, da konnte er sich beim besten Willen nicht an jede erinnern.
„Nein, ich habe heute keine Lust, etwas zu trinken. Ich bin müde.“ – „Ich rede
nicht davon, etwas zu trinken. Wir könnten das wiederholen, was wir getan
haben, NACHDEM wir von hier weggingen.“ Sie bemerkte seine Unbeholfenheit und
versuchte ihm auf die Sprünge zu helfen. Es sei an dem Abend gewesen, an dem er
so verärgert darüber gewesen sei, daß ihm jemand einen Cocktail über sein
Saxophon geschüttet habe. Am nächsten Morgen habe er dann einen Anruf bekommen
und sei recht schnell verschwunden.
Langsam war die Dame etwas geknickt und schien
offensichtlich weniger Interesse zu haben als einige Minuten zuvor. Mit Worten,
die so ähnlich klangen wie „Das habe ich nicht nötig“ und „Bisher konnte sich
jeder noch an mich erinnern“, dampfte sie ab und ließ Bruce stehen.
Er setzte sich an „seinen“ See und überlegte, wie es möglich
sein konnte, daß er sich an alles, was an diesem Tag passiert war, im Detail
erinnern konnte, nur nicht an das, was am Abend vor seinem Einsatz passiert
war. An den Einsatz selbst konnte er sich ja wieder erinnern. Ihm fehlten nur
einige Stunden in seiner Erinnerung. Wenn er aufgrund der Detonation an
Gedächtnisschwund litt, warum dann nur in dieser eindeutig einzugrenzenden
Zeitspanne ?
VI
Am nächsten Morgen ging er in die Klinik, die sich auf dem
Militärgelände befand und erkundigte sich nach dem zuständigen Arzt. Dieser kam
sofort, als er erfuhr um wen und was es sich handelte und redete irgend etwas
von partieller Amnesie, die sich bei bestimmter Lufttemperatur und unter
bestimmten Druckverhältnissen auf diese Art und Weise äußerte. Bruce bemerkte die
Unsicherheit und Nervosität des Arztes. Er spürte, daß dieser Arzt ihm nicht
die Wahrheit sagte. Er bedankte sich und tat so, als sei er zufrieden mit der
ärztlichen Auskunft. Der Arzt war sichtlich erleichtert. Bruce verabschiedete
sich und verließ die Klinik.
Er mußte irgendwie an seine Krankenakte gelangen. Er hatte
noch einige Freunde beim Militär, die ihm noch einen Gefallen schuldig waren
und deren Dienste er zuvor aus fehlender Notwendigkeit heraus nie in Anspruch
genommen hatte. Er setzte alle auf diesen einen Auftrag an: Sie sollten ihm
alle Daten beschaffen, die über seine Person beim Militär aufbewahrt wurden.
Währenddessen spielte er weiterhin Saxophon in der LUNA-Bar.
VII
Das Ergebnis war weniger erfreulich als erschreckend. Alle
hatten dasselbe herausgefunden. Die Akten unterlagen strengster Geheimhaltung
und waren nur für eine Handvoll Personen zugänglich. Sie unterlagen, wie es
Bruce zugetragen wurde, strengeren Sicherheitsvorkehrungen als alle Staats- und
Militärgeheimnisse und Waffenpläne zusammen. Dennoch gab es einen, der die
Daten beschaffen konnte.
Die Übergabe der Akten konnte nicht per Computer erfolgen,
da dieser an die Überwachungseinheit des Militärs angeschlossen war. Sie
erfolgte wie in den guten alten Zeiten in irgendeiner versteckten, verdreckten
Bar, in welcher Bruce im Übrigen viel lieber Saxophon gespielt hätte, als in
dieser klinisch hygienischen Alkoholzufuhr-Bar. Er begab sich an den See,
dieses Mal ohne sein Saxophon, jedoch mit den erwünschten Akten.
Auf den ersten Blättern stand sein Lebenslauf, dann die
militärischen Grade, die er im Laufe der Zeit erreicht hatte. Auf den nächsten
Seiten fand er die Daten seiner Gehirnuntersuchung und dahinter irgendwelche
Nummern, die vermutlich darauf hinwiesen, wo diese Daten im Archiv zu finden
waren. Er blätterte weiter. Nichts kam ihm seltsam vor, bis er auf die letzte
Seite gelangte. Er konnte es nicht glauben und las sie sich immer und immer
wieder durch, bis er sie laut las, um auch seine Ohren davon zu überzeugen, was
auf dem Papier stand: "Todeszeitpunkt: 28550 Uhr. – Datenüberspielung:
28551. Verlauf ohne Komplikationen. Reduplizierung des Körpers: 28551. Körper
und Gehirndaten kompatibel....“
Er las weiter, doch er begriff erst, als es schon fast
dunkel war und er nicht weiterlesen konnte.
Er war nicht mehr er selbst. Sein Körper war ein geklonter
Körper, seine Erinnerungen waren geklont. Er war nicht mehr Bruce, der
Prototyp, sondern Bruce Beta. Er wußte nicht, was in ihm vorging. Er versuchte
alles zu rekapitulieren, was vor seinem Auftrag passiert war. Nun verstand er,
warum er sich nicht mehr an das verschüttete Glas und die Frau erinnern konnte.
Diese Daten hatte er vor seinem Tod nicht übertragen lassen.
Er saß die ganze Nacht am See und überlegte, wie es damals
vor 10 Jahren war, als er der einzige Überlebende bei einer Minenentschärfung
war, bei der es um über 200 Minen ging. Oder vor eineinhalb Jahren, als der
Busfahrer plötzlich die Pistole zog und auf ihn schoß oder damals als ...
ENDE.
Anmerkung der Verfasserin:
Und die Moral von der Geschicht´,
1. Nicht
so locker nehmen, wenn Du Kleinigkeiten vergessen hast.
2. Der
Saxophonspieler ist schlussendlich ein anderer, auch wenn er derselbe geblieben
ist.
Wenn Dir dieser Text gefällt, und Du ihn besitzen möchtest, könntest Du ihn theoretisch kopieren. Doch hier kannst Du ihn rechtmäßig erwerben, um ungetrübte Freude daran zu haben. Die Künstlerin dankt und fühlt sich gewertschätzt:
https://www.amazon.de/Saxophonspieler-Science-Fiction-Short-Story-ebook/dp/B00NZHF66I/ref=sr_1_3?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1535458342&sr=1-3